“Prozessuale Revolution” in Russland: Die Staatsduma hat in finaler Lesung das Gesetz über bedeutende Änderungen zweier russischen Prozessordnungen verabschiedet
Im Oktober 2017 hat das Plenum des Obersten Gerichtshofs Russlands beträchtliche Änderungen in die geltenden russischen Prozessordnungen vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf wurde in den Medien als „prozessuale Revolution“ bezeichnet. Nun nach über einem Jahr Diskussionen wurde das Gesetz von der Staatsduma in der finalen Lesung verabschiedet. Das Ziel der Änderungen bleibt Modernisierung und Unifizierung von prozessualen Gesetzen. Allerdings wurden die anfänglichen Vorschläge, welche viel Resonanz hervorgerufen haben, stark überarbeitet und somit auch gemäßigte Formen gewonnen.
Der nachstehende Überblick schildert die drei wohl wichtigsten von bevorstehenden Änderungen, die, vorbehaltlich der Zustimmung des Föderationsrates, bis zum 1. Oktober 2019 in Kraft treten sollen.
1. Begründungen von Gerichtsakten
Um viel Kritik hat der Vorschlag gesorgt, die Begründungen von Gerichtsakten bei mehreren Kategorien von Streitigkeiten abzuschaffen. Berechtigterweise hat man auf diesen Vorschlag im Laufe der Verhandlungen gänzlich verzichtet. Die Struktur von Gerichtsakten bleibt also unverändert und der in vielerlei Hinsicht äußerst relevante begründende Teil von Gerichtsakten bleibt beibehalten.
2. Vertretung vor Gericht
Die Vertretung vor Gericht wird nun Personen vorbehalten, welche einen juristischen Hochschulabschluss bzw. einen wissenschaftlichen Grad in Jura nachweisen werden können. Die Regelung ist seit dem 1. Oktober 2019 in Kraft getreten.
Kein „Juristenzwang“ wird für Prozesse bei Friedensrichtern und vor Bezirksgerichten vorgesehen. Auch gesetzliche Vertreter (darunter z.B. auch Insolvenzverwalter, Patentanwälte, Vertreter von Gewerkschaften) dürfen keine Juristen sein. In restlichen Fällen wird juristische Qualifikation unentbehrlich.
Durch diese seit mehreren Jahren in Russland diskutierte Änderung erhofft man sich nun eine deutliche Qualitätsverbesserung bei Prozessführung und somit einen besseren Schutz von Rechten und gesetzlichen Interessen der Betroffenen sowie eine höhere Qualität von Gerichtsentscheidungen. Zugleich darf diese Änderung als eine Zwischenstufe auf dem Weg zum in Russland ebenso seit geraumer Zeit diskutierten Anwaltszwang / Anwaltsmonopol, der sich allerdings bislang noch nicht durchsetzen konnte.
3. Unterscheidung nach Rechtswegs / podvedomstvennost´
Das Gesetz schafft das Institut „podvedomstvennost´“ ab, dessen Zweck die Abgrenzung nach Rechtsweg zwischen Wirtschaftsgerichtsbarkeit und ordentlicher Gerichtsbarkeit war. Nunmehr werden die Zuständigkeitskollisionen zwischen beiden Gerichtszweigen lediglich anhand des Instituts „podsudnost´“ / Zuständigkeit gelöst. Wird das angerufene Gericht feststellen, dass es für die Behandlung der Sache an seiner Zuständigkeit mangelt, wird es die Sache von Amts wegen an das zuständige Gericht verweisen müssen. Diese Regelung über die Verweisung an einen anderen Rechtsweg ist für das russische Prozessrecht neu. Bislang existieren lediglich Normen über Verweisung innerhalb desselben Rechtswegs. Das fälschlicherweise angerufene Gericht muss das Verfahren mit Begründung seiner Unzuständigkeit beenden, sodass der Kläger sich erneut an das zuständige Gericht wenden muss bzw. den prozessualen Beschluss über die Verfahrensbeendigung anfechten.
© Dr. Olga Kylina
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