NEWS: Der Gesetzentwurf des Jahres vom russischen Obersten Gerichtshof: Nunmehr keine Begründung der gerichtlichen Entscheidungen
Eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres 2017 war die Plenarsitzung des Obersten Gerichtshofs Russlands am 3. Oktober 2017. In dieser Plenarsitzung schlugen die Richter vor, auf den begründenden Teil der Gerichtsentscheidungen zu verzichten.
Gegen die überwiegende Mehrzahl aller Gerichtsentscheidungen wird nach statistischen Angaben kein Rechtsmittel eingelegt. Nur 11,5 % der Urteile (Stand: 2014 – 2016) landen bei der Berufungsinstanz. Lediglich 2% der erstinstanzlichen Entscheidungen werden vom Berufungsgericht und 0,1 % vom Revisionsgericht geändert bzw. aufgehoben. Dieser Umstand wird dahingehend interpretiert, dass die Beteiligten mit der Entscheidung in der Sache in der Regel einverstanden sind.
Bei so einer tiefgreifenden Reform werden Ziele und Prinzipien des Rechtsstaates, die richterliche Fortentwicklung des Rechts sowie Grundlagen der Rechtskultur berührt. Inwiefern diese bedeutenden Aspekte mitberücksichtigt wurden, lässt sich im Moment nur bedingt urteilen. Es wird für die Beteiligten jedenfalls weiterhin möglich sein zu erfahren, wonach sich der jeweilige Richter bei der Entscheidung leiten ließ. Offensichtlich ist jedoch, dass im Vordergrund dieser Gesetzesinitiative die prozessökonomischen Gedanken standen. Um eine Urteilsbegründung niederzuschreiben, braucht ein Richter nachweislich bis zu fünf Arbeitstage. Nicht zu vergessen, dass ein Richterarbeitstag den Bundeshaushalt ca. 25 000 RUB kostet. Durch die Streichung des begründenden Teils von Gerichtsentscheidungen soll dieser beträchtliche Aufwand reduziert werden.
Nach dem Gesetzesentwurf sollen nun alle Gerichtsurteile grundsätzlich aus zwei Teilen bestehen – dem Rubrum und Tenor. Die Entscheidungsgründe sind dann zum einen auf Antrag der Beteiligten, zum anderen von Amts wegen zu formulieren, und zwar falls einer der Beteiligten in die Berufung geht.
Die Begründungspflicht fällt ebenfalls für Berufungs- und Revisionsgerichte weg.
Bestimmte besonders wichtige soziale und wirtschaftliche Streitkategorien werden weiterhin einer Urteilsbegründung bedürfen, darunter z.B. Insolvenzsachen, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, Sachen, in denen das Kinderwohl betroffen ist, zwangsweise Räumung einer Wohnung, Sachen betreffend Schutz der Rechte und Freiheiten eines unbestimmten Personenkreises sowie die meisten Verwaltungssachen.
Quelle in Russisch: https://pravo.ru/review/view/146772/?m
Maria Mikhaylova
Dr. Olga Kylina
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