Ihre Verträge mit russischen Partnern in der Corona-Krise: Vertragserfüllung vs. höhere Gewalt, Unmöglichkeit, Störung der Geschäftsgrundlage
Das Coronavirus bzw. COVID 19 stellt die Wirtschaft auf der ganzen Welt auf den Kopf. Die Rechtsberatung steht im Lichte dieser Entwicklungen vor neuen Herausforderungen. Bestehende vertragliche Leistungsbeziehungen müssen aktuell hinterfragt und untersucht werden, ob und inwiefern sie betroffen sind. Lieferverträge mit Ihren russischen Partnern müssen mit neuer Aufmerksamkeit untersucht werden. Manche müssen sich mit Leistungsverweigerungen auseinandersetzen, manche sind mit notwendigen Anpassungen der vertraglichen Absprachen wegen schwerwiegender Änderung der Geschäftsgrundlagen konfrontiert.
Wie sieht es nun mit Ihren Vertragsbeziehungen mit Russland aus? Wie stehen Sie da, wenn Sie Ihrer Liefer- oder Zahlungspflicht nicht nachkommen können? Wenn das deutsche Unternehmen seine Kunden in Russland aufgrund der fehlenden Zulieferteile bzw. der Zerstörung der Logistikkette nicht oder nicht rechtzeitig beliefern kann, stellt sich die Frage, auf welche Normen sich das deutsche Unternehmen im Verhältnis zu seinem Kunden berufen kann.
In den Vordergrund treten aktuell alle Details der vertraglichen Abreden, insbesondere die vertraglichen Force Majeure-Klauseln, aber auch solche Rechtsinstitute wie Force Majeure oder höhere Gewalt, Leistungshindernis und Unmöglichkeit der Leistung sowie Störung der Geschäftsgrundlage.
Zugleich erlangen Fragen des anwendbaren Rechts eine ausschlaggebende Bedeutung. Denn abhängig davon, welche Rechtsordnung in Ihren Verträgen mit russischen Partnern für maßgeblich bestimmt wurde, werden sich auch Ihre Chancen auf Leistungs- oder zumindest Haftungsbefreiung gestalten.
Gilt für Ihre Verträge mit russischen Partnern deutsches Recht?
Der Begriff des Force Majeure wird im deutschen Rechtsraum zwar oftmals verwendet, um die sog. höhere Gewalt zu beschreiben. Der Begriff ist im deutschen Recht jedoch kein gesetzlich definierter Terminus.
Das deutsche Recht behandelt solche Fälle, in denen eine Vertragspartei ohne ihr Verschulden an der Vertragserfüllung durch ein äußeres Ereignis gehindert wird, nach den Regeln der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Unterliegt Ihr Vertrag dem deutschen Recht, muss die Einschlägigkeit dieser Gesetzesnormen im Lichte der Corona-Krise bei ihrem konkreten Vertragsverhältnis stets gesondert geprüft werden.
Wurde Ihr Vertrag dem russischen Recht unterstellt?
Das russische Zivilrecht regelt im Gegenteil zum deutschen BGB unmittelbar das Institut der höheren (wörtlich: unüberwindbaren) Gewalt in Art. 401 P. 3 ZGB RF. Als höhere Gewalt werden außerordentliche und im Rahmen der jeweiligen Situation nicht überwindbare Umstände bezeichnet (Rus: „ … вследствие непреодолимой силы, то есть чрезвычайных и непредотвратимых при данных условиях обстоятельств“).
Fälle höherer Gewalt gelten nach dieser Gesetzesnorm als haftungsbefreiende Umstände bei Nichterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen. Umfangreiche Rechtsprechung zu diesem Thema stuft Epidemien und Pandemien als höhere Gewalt ein. Nähere Erläuterungen zum Thema sind zudem der Rechtsprechungsübersicht des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation vom 21. April 2020 zu entnehmen.
Ob das Coronavirus in Russland als Fall der höheren Gewalt befreiende Bedeutung bei der Nichterfüllung von Leistungspflichten erlangen wird, gilt in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen. Zu beachten ist zum heutigen Zeitpunkt, dass auf dem Gebiet der Russischen Föderation zwar mehrere behördliche Maßnahmen zum Schutz gegen das Coronavirus eingesetzt werden, die Ausbreitung der Erkrankung und der einschneidende Charakter der Gegenmaßnahmen bei weitem nicht so dramatisch sind, wie in Deutschland.
Darüber hinaus kennt auch das russische Zivilrecht die Regeln der objektiven Unmöglichkeit (Art. 416 P. 1 ZGB RF), welche als Pendant der absoluten / faktischen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB gelten darf. Ferner werden behördliche Anordnungen als Leistungshindernis gesondert genannt (Art. 417 P. 1 ZGB RF). Wird die Unmöglichkeit nach russischem Recht anerkannt, wird der Schuldner automatisch von der Leistungspflicht frei, da es sich um einen Ausschluss der Leistung kraft Gesetzes handelt. Die Rechtsfolge ist hier also nicht lediglich Haftungsausschluss, sondern komplette Leistungsbefreiung.
Eine dem § 313 BGB vergleichbare Regelung zum Wegfall der Geschäftsgrundlage beinhaltet im russischen Recht Art. 451 ZGB RF. Hiernach kann – ähnlich wie im deutschen Recht – im Falle einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, die Anpassung oder Auflösung des Vertrages verlangt werden kann.
Kommt es auf die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts an?
Das UN-Kaufrecht (CISG) findet immer dann Anwendung,
- wenn es sich um einen internationalen Warenkauf handelt, der dem Recht eines Vertragsstaates unterliegt (stillschweigende Einbeziehung)
- oder wenn die Parteien die Anwendbarkeit von CISG explizit vereinbart haben.
Wird also in Ihren „russischen“ Exportverträgen deutsches Recht oder russisches Recht für anwendbar erklärt ohne zugleich ausdrücklich zu vereinbaren, dass UN-Kaufrecht nicht gilt, werden die Verbindlichkeiten der Vertragsparteien in erster Linie nach dem UN-Kaufrecht beurteilt. Denn sowohl Deutschland als auch Russland sind am UN-Kaufrecht beteiligt.
Die genauen Einzelheiten zu den im russischen Recht geltenden Grundsätzen für die Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts können Sie hier nachlesen.
Das UN-Kaufrecht sieht eine verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers vor. Nach diesem Grundsatz ist es also für die Haftung des Verkäufers ohne Belang, ob dieser eine Schlechtleistung oder Nichterfüllung zu vertreten hat oder nicht.
Würde im Rahmen des UN-Kaufrechts der Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung konsequent und streng zum Tragen kommen, würde es für die Haftung des Verkäufers keinen Unterschied machen, ob er aus Gründen der höheren Gewalt oder wegen Planungsfehlern Lieferschwierigkeiten hat.
Da allerdings dieses Ergebnis keine faire Lösung darstellen würde, ist in Art. 79 CISG vorgesehen, dass eine Partei für die Nichterfüllung ihrer Pflichten nicht einzustehen hat, wenn sie beweist, dass der Nichterfüllung ein außerhalb ihres Einflussbereichs liegender Hinderungsumstand zugrunde liegt.
Art. 79 UN-Kaufrecht regelt zunächst nur die Befreiung von der Schadensersatzpflicht und lässt andere Ansprüche grundsätzlich unberührt. Somit ist die Rechtsfolge dieser bei Fällen der höheren Gewalt ähnlich. Ist die Erfüllung des Vertrages aber objektiv unmöglich, kann diese auch nicht erzwungen werden.
Weiter ist für die Befreiung von der Schadensersatzpflicht nach Art. 79 CISG erforderlich, dass für die Partei nicht zumutbar ist, den Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.
Als Fallgruppen des Art. 79 UN-Kaufrecht sind sowohl Epidemien als auch Erschwerung bzw. Unmöglichkeit der Nutzung von Transportwegen grundsätzlich anerkannt. Zu beurteilen ist die jeweilige Betroffenheit einer Vertragspartei im Einzelfall, was beim aktuellen Ausmaß der Corona-Pandemie allerdings für die meisten Vertragsbeziehungen zu bejahen sein wird.
Enthält Ihr Liefervertrag mit russischen Kunden eine Regelung zum Ausbruch der höheren Gewalt?
Oft wird in Lieferverträgen eine Force Majeure-Klausel vorgesehen, welche dann auch die Befreiung von der Erfüllungspflicht ermöglicht. Die Force Majeure-Ereignisse werden üblicherweise nicht abstrakt definiert, sondern anhand der Einzelbeispiele (und nicht abschließend) aufgezählt. Dazu gehören typischerweise Naturkatastrophen wie Brände, Erdbeben oder Überschwemmungen aber auch Ereignisse wie Epidemien, Terroranschläge, bewaffnete Konflikte oder Streiks, Beschlüsse der öffentlichen Gewalt wie Ausfuhrverbote oder -beschränkungen, behördliche Anordnungen.
Enthält Ihr Exportvertrag mit Russland eine derartige Klausel, wird dieser vertraglichen Regelung bei der Beurteilung der Leistungspflichten und Leistungshindernissen eine tragende Rolle zukommen.
Die Rechtsfolge eines Force Majeure-Umstands kann zunächst eine zeitweilige Befreiung von der Leistungspflicht der betroffenen Partei unter gleichzeitigem Ausschluss von Schadensersatzansprüchen der Gegenpartei sein. Vereinzelt enthalten Force Majeure-Klauseln auch Sonderkündigungsrechte zugunsten einer oder beider Vertragsparteien, z.B. wenn das störende Ereignis eine bestimmte Dauer übersteigt. Auch hier werden gegenseitige Schadensersatzansprüche üblicherweise ausgeschlossen.
Die Befreiung wird üblicherweise von Melde- bzw. Mitteilungspflichten der betroffenen Partei unter Vorlage einer Bestätigung von einer zuständigen Stelle (etwa der örtlichen Handelskammer) abhängig gemacht.
Zu beachten ist, dass entsprechende Klauseln auch der nicht unmittelbar vom Force Majeure-Ereignis betroffenen Partei Pflichten auferlegen können. So ist die vom Ereignis nicht betroffene Partei regelmäßig dazu verpflichtet, ihre eigenen Schäden bestmöglich zu begrenzen.
Auch im Hinblick auf die Force Majeure-Klausel ist zu beachten, welchem Recht der betroffene Vertrag unterliegt. Je nach anwendbarem Recht kann die Interpretation der jeweiligen Vertragsklausel sehr unterschiedlich ausfallen, weshalb auch die Beurteilung von Leistungspflichten und Leistungshindernissen zu konträren Ergebnissen führen kann.
Unterliegt Ihr Vertragsverhältnis dem russischen Recht, kann jedenfalls festgehalten werden, dass Epidemien und Pandemien in der russischen Gerichtspraxis als höhere Gewalt anerkannt werden. Durch die Regierungsverordnung Nr. 66 vom 31.01.2020 wurde das Coronavirus zudem in das Verzeichnis von Epidemien auslösenden Erkrankungen aufgenommen.
Benötigen Sie eine sachkundige Rechtsberatung hinsichtlich Ihrer Vertragspflichten bei Exportgeschäften mit Russland, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.
© Dr. Olga Kylina
Ihre Fragen richten Sie an uns bitte per E-Mail: info@lex-temperi.de
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